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Deutschland lebensgefährlich - Fritz Gerlich wollte Hitler mit der Waffe des Wortes stoppen

Von Christoph Renzikowski (KNA)

Er war ein Feuerkopf und er irrte sich oft. Doch in entscheidender Stunde wusste er, worauf es ankommt und bezahlte dafür mit seinem Leben. Vor 90 Jahren verhafteten die Nazis Fritz Gerlich. 16 Monate später war er tot.

München (KNA) "Es gibt kein Erbarmen", wütet Adolf Hitler nach dem Reichstagsbrand in Berlin am 27. Februar 1933. "Wer sich uns in den Weg stellt, wird niedergemacht." Nach ihrer Machtübernahme knöpfen sich die Nazis ihnen verhasste sozialdemokratische und katholische Journalisten zuerst vor.

Fritz Gerlich ist Redaktionsleiter und Miteigentümer der Wochenzeitung "Der gerade Weg" in München. Mit einem adeligen Gönner aus dem Schwäbischen hat er im September 1930 eine politisch harmlose Postille namens "Illustrierter Sonntag" erworben, umbenannt und Zug um Zug in ein Kampforgan gegen den braunen Ungeist verwandelt. Mit beißendem Spott und exklusiven Nachrichten aus dem inneren Gefüge der NS-Bewegung will die "Deutsche Zeitung für Wahrheit und Recht", so der Untertitel, Hitler zu Fall bringen. Das Blatt wird auch im Hause des oberbayerischen Dorfpolizisten Joseph Ratzinger gelesen, dem Vater des späteren Papstes.

Brandartikel mit Überschriften wie "Hetzer, Verbrecher, Geistesverwirrte" warnen vor der NS-Ideologie. Obwohl "Der gerade Weg" stets rote Zahlen schreibt und in der Auflage weit unter 100.000 Stück bleibt, nimmt ihn die NSDAP ernst. Hitler lässt sich jede Ausgabe vorab besorgen. Ironie der Geschichte: Anfangs läuft "Der gerade Weg" durch dieselbe Druckerpresse wie das Naziblatt "Völkischer Beobachter".

Am Nachmittag des 9. März 1933 kehrt Gerlich erfolglos von einer letzten Mission aus Stuttgart zurück. Über den württembergischen Staatspräsidenten Eugen Bolz wollte er Reichspräsident Paul Hindenburg brisantes Material aus einer vermeintlich hochrangigen SA-Quelle zuspielen. Bolz lehnt ab. Zurück in München treffen erste Warnungen vor einem Sturm der Redaktion ein. Im Hof steht ein vollgetankter Chrysler bereit zur Flucht in die Schweiz. Doch Gerlich will nicht weichen. "Ich bin bereit, für das, was ich geschrieben habe, mit meinem Leben einzutreten."

Kurz nach 19 Uhr stürzt die Hausmeisterin die Treppe herauf und schreit: "Die Hitler kommen!" Rund 50 SA-Leute stürmen das Gebäude. Sie brechen Schränke auf, laden alles schriftliche Material auf Lastwagen und schlagen Gerlich zusammen. "Der gerade Weg" ist zu Ende. Als "Schutzhäftling" landet der Publizist im Polizeigefängnis und kommt nicht mehr frei bis zu seiner Ermordung im Sommer 1934.

Geboren 1883 in Stettin, war Gerlichs persönlicher Weg alles andere als gerade. Der Calvinist studierte in München Geschichte und schlug zunächst die Laufbahn eines verbeamteten Archivars ein. In jungen Jahren erwies er sich als kriegsbegeisterter Nationalist - eine Leidenschaft, die nach einem ersten Treffen mit Hitler 1923 abkühlte. Gerlich blieb Anti-Bolschewist, wandelte sich aber zum Verteidiger der Weimarer Republik.

Als Chefredakteur der "Münchner Neuesten Nachrichten" gehörte er ab 1920 für acht Jahre zu den wichtigsten Journalisten im Reich. Dann überwarf sich Gerlich mit seinem Verleger. Zu viel Alkohol war dabei auch im Spiel.

Gerlichs Leben wendete sich durch die Begegnung mit der Mystikerin Therese Neumann in Konnersreuth. Im festen Vorsatz, die stigmatisierte Bauernmagd als Schwindlerin zu entlarven, fuhr der Skeptiker 1927 in die nördliche Oberpfalz. Als Konvertit kehrte er zurück und wurde katholisch.

Im Kreis um die "Resl" fand Gerlich zu seiner neuen Mission, dem "geraden Weg". Er traf hier nicht nur seinen Finanzier, sondern auch seinen wichtigsten Leitartikler, den Eichstätter Kapuziner Ingbert Naab.

Gerlichs kühner Versuch des publizistischen Widerstands blieb in Geschichtswissenschaft und Erinnerungskultur lange unbeachtet. Erst 2016 legte der Speyerer Historiker Rudolf Morsey eine fundierte Biografie vor. In München, Regensburg und Konnersreuth erinnern Denkmäler an den streitbaren Publizisten. Seit 2012 verleiht die katholische Kirche jährlich einen nach ihm benannten Filmpreis.

Für Heribert Prantl war Gerlich "das Gewissen in einer Zeit der Gewissenlosigkeit". Ende 2017 leitete der Münchner Kardinal Reinhard Marx ein Seligsprechungsverfahren für den Mann ein, der Hitler nur mit der Waffe des Wortes stoppen wollte.

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