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Porträt Fritz Gerlich

Der Journalist wurde von den Nazis umgebracht, weil er die Pressefreiheit zu dem Zwecke nutzte, für den sie da ist: die Würde des Menschen zu schützen. Jetzt will ihn die katholische Kirche selig sprechen.

Vielleicht ist Ihnen die Zeile noch nie wirklich aufgefallen. Unter dem Schriftzug "Süddeutsche Zeitung" auf Seite 1 unseres Blattes finden Sie den Untertitel "Neueste Nachrichten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport"; jahrzehntelang stand da "Münchner Neueste Nachrichten". Der Untertitel erinnert an eine Zeitung, die 1848 in München gegründet worden ist: Im Kaiserreich waren die "Münchner Neueste Nachrichten", MNN, eine der führenden liberalen Zeitungen in Deutschland; mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs wurde das Blatt deutlich konservativer; 1919 war es für kurze Zeit das Organ des Revolutionären Zentralrates der Münchner Räterepublik; dann färbte es sich katholisch-monarchistisch, war aber sehr hitlerkritisch; von der Unternehmensleitung wurde die Zeitung auf NSDAP-Kurs gedrängt - was aber, bis zu Hitlers Machtergreifung, an der Redaktion scheiterte.

Die braune Umwandlung der Zeitung scheiterte vor allem an einem Mann namens Fritz Gerlich: Er war von 1920 bis 1928 Chefredakteur der Münchner Neuesten Nachrichten; dann wurde er Chefredakteur der katholischen Zeitung "Der gerade Weg", die laut und eindringlich vor Hitler warnte. Gerlich tat das unter anderem mit dem prophetisch-düsteren Satz: "Nationalsozialismus heißt Lüge, Hass, Brudermord und grenzenlose Not." Gerlich wurde sofort nach deren Machtergreifung von den Nazis gefangen genommen, gefoltert und in der Nacht zum 1. Juli 1934 ermordet.

Seligsprechung des großen Hitler-Gegners

Dieser Mann soll heute im Mittelpunkt meines Newsletters stehen, aus einem seltenen, ja einmaligen Anlass, aus einem bemerkenswerten, spektakulären Grund: Die Katholische Kirche will diesen Journalisten "selig" sprechen. Zur Aufklärung für Nichtkatholiken und Nichtgläubige: Das ist so eine Art Vorstufe zur Heiligkeit, eine Art christliche Gesellenprüfung, der dann die Meisterprüfung folgen kann; der Journalist Fritz Gerlich wäre dann ein Heiliger.

Am kommenden Samstag beginnt jedenfalls mit einem Gottesdienst im Münchner Liebfrauendom das Verfahren zur Seligsprechung des Fritz Gerlich. Die Seligsprechung führt dazu, dass ein Mensch in den Kirchen öffentlich verehrt werden darf.

Gerlich, Tucholsky, Ossietzky

Der Historiker Hans Mommsen schrieb einmal in einer kraftvollen Analyse über den Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland: "Nicht überlegene Manipulation und Herrschaftstechnik, sondern mangelnde Widerstandskraft der deutschen Gesellschaft gegen die Zerstörung der Politik" sei die entscheidende Ursache für die deutsche Katastrophe gewesen. Fritz Gerlich wollte diesen Widerstand mobilisieren, er wollte diese Widerstandskraft wecken. Es gelang ihm nicht. Es gab nicht viele seinesgleichen. Und die, die es noch gab, standen in anderen politischen Lagern - Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky zum Beispiel. Das ist die Tragik des Widerstands, auch des publizistischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus: Der Widerstand fand nicht zueinander - oder viel zu spät, erst in den Mordlagern der Nazis.

Fritz Gerlich war ein Gewissen seiner Zeit. Er war ein Gewissen in einer Zeit der Gewissenlosigkeit. Dazu noch einmal Hans Mommsen, der in seinen Analysen zum NS-Staat geschrieben hat: "Die große Masse der Staatsbürger war bereit, dem Kabinett Hitler einen Vertrauensvorschuss einzuräumen, was sich bald als verhängnisvoll erwies. Die Vorstellung, das System von innen reformieren zu können, hielt sich auch bei den oppositionellen Gruppen ungewöhnlich lang." Gerlich hatte eine solche Illusion nie. Viele Kritiker im bürgerlichen Widerstand lehnten Hitlers innenpolitische Methoden ab, stimmten aber in manchen außen- und militärpolitischen Zielsetzungen überein, weil ihnen die Werte "Freiheit" und "Menschenwürde" weniger galten als die Hoffnung auf eine Großmachtstellung Deutschlands. Gerlich war anders; er ließ sich nicht einwickeln, nicht umgarnen, nicht korrumpieren.

Eine bizarre Persönlichkeit?

Der streng konservative Gerlich mag die Kraft zum kompromisslosen Widerstand aus dem katholischen Glauben geschöpft haben, zu dem der Calvinist übergetreten war. Er nahm seinen Glauben und die Verpflichtung, die daraus folgt, ernster als viele kirchliche Würdenträger. Er sei eine bizarre Persönlichkeit gewesen, hieß es in den Nachkriegsjahren dort und da, ein cholerisches Temperament; manche haben auch von einem angeblichen "Konvertitenfimmel" des Mannes geredet, der über die katholische Mystikerin Therese von Konnersreuth ein zweibändiges Werk geschrieben hatte.

Es wäre aber vielleicht gut gewesen, wenn es ein paar mehr solcher angeblich bizarren Persönlichkeiten mit cholerischem Temperament und Konvertitenfimmel gegeben hätte - und weniger Mitläufer, die erst nachträglich, nach 1945, ihre Distanz zum Nationalsozialismus entdeckten. War Gerlich ein katholischer Tucholsky, ein katholischer Ossietzky? Solche Vergleiche führen nicht viel weiter. Aber es ist bewegend zu lesen, wie Fritz Gerlich alle Waffen des Wortes zu nutzen suchte, um zu verhindern, was nicht mehr zu verhindern war: Er schrieb mit Pathos, mit Ironie, er schrieb Satiren, Pamphlete, Leitartikel, Analysen - seine Zeitschrift, sein "Gerader Weg" war ein Feuerwerk des publizistischen Widerstands. Fritz Gerlich war, Fritz Gerlich ist ein journalistischer Märtyrer. Er wurde von den Nazis verhaftet, gefoltert und ermordet, weil er der Hitlerei, weil er der braunen Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen unglaublich unerschrocken entgegentrat. Er wurde von den Nazis 16 Monate lang eingesperrt und dann umgebracht, weil er die Pressefreiheit zu dem Zwecke nutzte, für den sie da ist: Die Würde des Menschen zu schützen.

Pressefreiheit ist das tägliche Brot der Demokratie

Pressefreiheit ist nicht die Freiheit zu Larifari und Tandaradei, Pressefreiheit ist nicht die Freiheit zu bequemer Berufsausübung. Die Sache des Journalismus sind die Grundrechte und Grundwerte der Verfassung - dafür nämlich gibt es die Pressefreiheit. Pressefreiheit ist das tägliche Brot der Demokratie. Wenn Journalisten dieses Brot missachten, dann haben sie ihren Beruf verfehlt. Wenn man über die Pressefreiheit, wenn man über das Fundament des Journalismus spricht, wenn es um Selbstbesinnung und Selbstvergewisserung geht, dann gehört es dazu, sich Vorbilder vor Augen zu halten. Es ist wichtig, dass junge Journalisten in den Journalistenschulen nicht nur lernen, wie Crossmedia-Marketing funktioniert, dass sie dort nicht nur lernen, wie man effektiv und schnell schreibt und produziert, sondern dass sie dort auch erfahren, dass es journalistische Vorbilder gibt. Es gibt nicht so viele dieser Vorbilder; erst vor einigen Jahren mussten wir die neuen Erkenntnisse über die NS-Vergangenheit des SZ-Mitgründers Franz Josef Schöningh lesen.

Wie gesagt: Fritz Gerlich war, bevor er die Zeitschrift "Der gerade Weg" gründete und darin wie kaum ein anderer deutscher Publizist vor Hitler warnte, von 1920 bis 1928 Chefredakteur der "Münchner Neuesten Nachrichten" - also des Blattes, das als Vorläufer der Süddeutschen Zeitung gilt. Und wie gesagt: Die SZ führt noch heute im Untertitel die Bezeichnung "Neueste Nachrichten". Das ist eine Verbeugung vor Fritz Gerlich, unabhängig davon, ob er nun vielleicht auch noch ein "Heiliger" wird. Am ehemaligen Verlagsgebäude der Süddeutschen Zeitung in der sogenannten Hofstatt, mitten in der Altstadt, hängt an der Nordwand, von Efeu etwas überwuchert, eine bronzene Gedenktafel für Fritz Gerlich. Es ist nicht schlecht für eine Zeitung und ihre Journalisten, so einen zum Ahnherrn zu haben.

von Heribert Prantl in SZ am Sonntag 3. Dezember 2017